Osteopathie-Konzept und Theorie der Wirkungsweise

Die Osteopathie geht von der Annahme aus, dass Knochen, Muskeln, Bänder, Organe und Nerven wie in einem großen Netzwerk direkt oder indirekt miteinander verbunden sind und daher in einem mehr oder weniger starken Interdependenzverhältnis zueinander stehen. In der Konsequenz bedeutet dies, dass eine funktionelle Störung in einem Teil des Körpers auf andere Bereiche des Organismus übertragen werden kann, was schließlich auch dort zu Bewegungs- und Funktionseinschränkungen führt.

Dieser Annahme folgend, begreift die Osteopathie Gesundheit als das harmonische Zusammenspiel der einzelnen Bereiche und Ebenen des menschlichen Organismus ohne Bewegungsverluste, funktionelle Einschränkungen und organische Störungen.

Die vier Grundprinzipien der Osteopathie

Auf Basis der vier Prinzipien verfolgt die Osteopathie demnach nicht primär das Ziel, Krankheiten symptomorientiert zu behandeln, sondern die Selbstheilungskräfte des Organismus zu aktivieren. Um dies zu erreichen, verfügt die Osteopathie über verschiedene Behandlungsansätze, wobei die sogenannten weichen Techniken die meisten Behandlungskonzepte dominieren. Allen Ansätzen ist gemein, dass zur Heilung ausschließlich die Hände eingesetzt werden.

Einheit von Körper, Geist und Seele

Die Osteopathie geht von einer grundsätzlichen Einheit von Körper, Geist und Seele aus. Alle drei Bereiche sind untrennbar miteinander verbunden und werden daher stets zusammen behandelt.

Zusammenspiel von Struktur und Funktion

Es existiert ein wechselseitiges Verhältnis zwischen Struktur und Funktion des Körpers. Wie die Struktur die Funktion bedingt, so beeinflusst auch die Funktion die Struktur. Ist eine organische Struktur gestört, erleidet sie auch Störungen ihrer physiologischen Funktion, was sich im klinischen Befund als pathologisch zeigt. Ist demgegenüber zunächst eine einzelne Funktion gestört, kompensiert der Körper diese Störung, bis ihm dies nicht mehr gelingt und sich ein struktureller Schaden manifestiert. Am Ende steht wieder die sichtbare Krankheit.

Leben ist Bewegung

Krankheiten entstehen infolge von Einschränkungen der Bewegung. Bewegung bezieht sich jedoch nicht nur auf die Bewegung der Knochen und Muskeln, sondern umfasst jegliche dem Leben innewohnende Bewegung – sei es die des Blutes, die der Lymphe, oder bspw. die der neuronalen Impulse.

Fähigkeit zur Selbstheilung

Jeder Mensch verfügt über Selbstheilungsmechanismen. Dies sind Prozesse, die den Körper in die Lage versetzen, sich aus einem kranken Zustand selbstständig wieder ins als Gesundheit empfundene Gleichgewicht zu bringen. Selbstheilungskräfte zu aktivieren und zu fördern, ist Kernaufgabe des Osteopathen.

Anamnese in der Osteopathie

Ganz im Sinne der vier Osteopathie-Prinzipien betrachtet der Osteopath das Beschwerdebild eines Patienten nicht isoliert und aus einer einzigen Fachrichtung. Die Anamnese – als die Erhebung der Leidensgeschichte eines Patienten – erfolgt vielmehr ganzheitlich und aus verschiedenen Perspektiven.

Bei dieser Form der Befundung legt die Osteopathie besonderes Augenmerk auf bekannte Traumata wie Stürze und Verletzungen, sowie auf Entzündungen und damit einhergehende chronische Erkrankungen. Zusätzlich ist die Kenntnis der allgemeinen persönlichen Lebensumstände des Patienten ein bedeutender Bestandteil der osteopathischen Anamnese. So kann das Wissen um die Ernährungsweise und das soziale Umfeld des Patienten aus osteopathischer Perspektive wichtige Erklärungsansätze für eine Erkrankung sein.

Welche Behandlungsansätze gibt es in der Osteopathie?

Die Osteopathie untergliedert sich in drei große Teilbereiche: In den parietalen Bereich, den viszeralen Bereich und in den cranio-sakralen Bereich.

Die parietale Osteopathie

Die parietale Osteopathie konzentriert sich auf die Behandlung des Bewegungsapparates, demnach also speziell auf die Behandlung von Knochen, Gelenken, Bändern, Muskeln und Faszien. Wichtige Techniken zur Behandlung von Dysfunktionen im parietalen Bereich sind die Impulstechnik und die Muskeltechnik.

Die viszerale Osteopathie

Wie bereits aus dem Namen hervorgeht legt die viszerale Osteopathie ihren Schwerpunkt auf die Behandlung der Eingeweide (von lat. viscera für Eingeweide), also auf die in den Körperhöhlen gelegenen inneren Organe und der dazugehörenden Blutgefäße, Lymphbahnen und Nerven. Auch das Stützgewebe wird mitbehandelt. Ziel ist eine Verbesserung der organischen Funktion mittels Verbesserung der arteriellen, venösen, lymphatischen und nervalen Versorgung.

Die Cranio-sakrale Osteopathie

Ausgehend von der Annahme, dass sich die rhythmischen Pulsationen der Gehirn-Rückenmarksflüssigkeit (Liquor cerebrospinalis) auf Knochen und Gewebe übertragen (primärer respiratorischer Mechanismus = PRM), liegt das Ziel der cranio-sakralen Osteopathie (von lat. cranium: Schädel und sacral: das Kreuzbein betreffend) in der positiven Beeinflussung dieses cranio-sakralen Rhythmus, sowie der Reduktion bzw. Lösung von Gewebespannungen.

Osteopathischen Diagnostik

  • Kriterien
  • Regeln
  • Techniken

Aktive und passive Palpation zum Aufspüren von Dysfunktionen

Eine gute Anamnese ist die Grundlage eines guten Befunds. Nicht minder wichtig ist jedoch die körperliche Untersuchung. Dabei sucht ein Osteopath nach Asymmetrien und somatischen Dysfunktionen (Blockierungen). Hierbei wird sowohl der parietale, der viszerale wie auch der cranio-sakrale Bereich untersucht. Diese Untersuchung, die sogenannte „key lesion”, also die primäre Dysfunktion, sicher aufzufinden und zu behandeln. [Heimann, S. 266]

Um die primäre Dysfunktion aufzuspüren, zu beschreiben und im Kontext des Allgemeinbefindens des Patienten zu bewerten, nutzt ein Osteopath grundsätzlich zwei verschiedene palpatorische Techniken, die aktive Palpation und die passive Palpation. Während der Osteopath mittels der aktiven Palpation direkt auf das Gewebe einwirkt, liegt seine Hand bei der passiven Palpation inaktiv und ruhig auf der Haut auf und sammelt auf diese Weise Informationen des Körpers.

TART-Kriterien zur Präzisierung der osteopathischen Diagnose

Hat der Osteopath eine somatische Dysfunktion palpatorisch aufgespürt, geht es ihm im nächsten Schritt darum, diese in ihrer Eigenart genauer zu beschreiben. Dabei verfährt er zum einen nach den sogenannten vier TART-Kriterien:

  • T = Tenderness (Schmerzempfindlichkeit)
  • A = Asymmetrie von knöchernen, muskulären und ligamentären Strukturen
  • R = Range of Motion (Bewegungsumfang)
  • T = Tissue Texture Changes (Gewebeveränderungen)

Wem hilft Osteopathie?

Grundsätzlich gilt, dass der Osteopath keine Krankheitsbilder, sondern den Menschen in seiner Gesamtheit behandelt. Daraus lässt sich ableiten, dass eine osteopathische Behandlung so lange sinnvoll sein kann, solange sich die Selbstheilungskräfte des Organismus aktivieren lassen.

Weiter heißt dies auch, dass sich die Osteopathie keineswegs, wie fälschlicherweise oft angenommen, auf die Behandlung von Beschwerden des Bewegungsapparates beschränkt. Ganz im Gegenteil: Da die Osteopathie mit dem parietalen, dem viszeralen und dem cranio-sakralen Bereich drei verschiedene Zugänge zu Körper, Geist und Seele des Patienten besitzt, können folglich auch positive Effekte auf den gesamten Menschen erzielt werden.

Direkte Kontraindikationen kennt die Osteopathie im Übrigen nicht. Allerdings stellt sie nicht immer die Therapie der ersten Wahl da. So sollte sie bei akuten Entzündungen, Tumorerkrankungen, bei der Nachbehandlung schwerer Unfälle, sowie bei psychiatrischen Erkrankungen lediglich Begleittherapie zur schulmedizinischen Behandlung angesehen werden – daher auch der Begriff der Komplementärmedizin.

Auf Grund der Ganzheitlichkeit der Osteopathie und trotz der Einschränkungen haben sich viele besondere Zielgruppen entwickelt, die besonders von einer osteopathischen Behandlung profitieren können. Viele Osteopathen haben sich sogar auf eine der folgenden Zielgruppen spezialisiert.

Osteopathie für Babys und Kinder

Viele Eltern suchen Osteopathen auf, um Entwicklungsstörungen des Bewegungsapparates ihrer Babys und Kinder vorzubeugen.

Osteopathie in der Schwangerschaft

Während und nach der Schwangerschaft muss sich die Frau an die Veränderungen des eigenen Körpers anpassen. Nicht selten kommt es in dieser Zeit zu verschiedenen körperlichen Problemen oder sogenannten Senkungsbeschwerden. Durch ihren ganzheitlichen Ansatz soll die Osteopathie laut der Aussage vieler Experten besonders geeignet sein, um die Frau therapeutisch zu begleiten.

Osteopathie für ältere Menschen

Osteopathische Behandlungen sollen insbesondere bei älteren Menschen dazu beitragen, die Beweglichkeit zu erhöhen bzw. zu erhalten und typischen Altersbeschwerden vorzubeugen.

Sportsosteopathie

Durch die hohe körperliche Belastung sind Sportler schon seit Langem eine wichtige Zielgruppe für Osteopathen. Die sogenannte osteopathische Sportphysiotherapie oder kurz Sportosteopathie (SPO) wird dabei sowohl in der Nachbehandlung von Traumata und Rupturen eingesetzt, als auch in der Rehabilitation und Prävention von Verletzungen. Große Vereine wie der THW Kiel haben sogar bereits Osteopathen eingestellt, die die sportmedizinischen Abteilungen der Vereine unterstützen.

Tierosteopathie

Die Osteopathie findet längst nicht mehr nur beim Menschen Anwendung und so ist Osteopathie für Pferde und Hunde heutzutage nichts Ungewöhnliches mehr. Laut Aussagen der Akademie für Tierheilkunde wächst die Nachfrage nach integrativen und ganzheitlichen Behandlungskonzepten in der Veterinärmedizin seit Jahren und es gibt sogar spezielle Weiterbildungsmöglichkeiten für Tierärzte.

Geschichte der Osteopathie

Andrew Taylor Still: Gründer der Osteopathie
Die Osteopathie wurde 1874 von dem amerikanischen Arzt Andrew Taylor Still begründet. Angetrieben von dem Wunsch, als Arzt nicht nur Symptome zu behandeln, sondern auch zu den tieferen Ursachen einer Krankheit vorzudringen, entwickelte Still zunächst ein mechanisches, einem Uhrwerk nicht ganz unähnliches Bild des Körpers…

Osteopathie zwischen Kritik und Evidenz

Auf der Basis dieser und weiterer Schulgründungen erlebt die Osteopathie in der Folgezeit nicht nur eine schnelle Verbreitung, sondern auch eine weitere Ausdifferenzierung ihrer Grundlagen und Methoden. Denn es sind Studenten wie William Garner Sutherland, die die Osteopathie weiterentwickeln und ihr wichtige Neuerungen wie die cranio-sakrale Osteopathie hinzufügen…

Osteopathie-Boom und die Übernahme der Behandlungskosten durch Krankenkassen

Seit 2012 werden osteopathische Behandlungen auch von den gesetzlichen Krankenkassen teilweise übernommen. Diese Teilübernahme der Kosten führte in den vergangenen Jahren zu einem regelrechten Osteopathie-Boom – unter anderem abzulesen, an den allein im Jahr 2013 um das dreifache gestiegenen Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen für osteopathische Behandlungen…